Digitale Collagen aus Fotografien und Zeichnungen.
Die Künstlerin beschreibt ihre Arbeiten als „digitale Collagen“, die aus verschiedenen Schichten von Fotografien und Zeichnungen auf- gebaut sind. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Collage bestand zunächst aus alltäglichen, billigen Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Zeitschriften, Werbeplakate und Bücher, die schnell veraltet wieder zu Müll wurden. Die Vergänglichkeit des Collagematerials bildet dabei einen Gegensatz zum Anspruch der Unvergänglichkeit und Kostbarkeit des Kunstwerks.
Emmanuelle Tanaïs Aupest nutzt eigene digitale Fotografien und Zeichnungen, die sie einscannt, für ihre Werke. In der am
Rechner erarbeiteten Collage verschmelzen die einzelnen Bildschichten ohne Schnitt- und Klebestellen miteinander, so dass
das Ursprungsmaterial schwerer als in der Papiercollage zu erkennen ist. Die Künstlerin präsentiert die fertigen Arbeiten nicht digital auf einem Bildschirm, sondern als Ausdruck auf unterschiedlichem Trägermaterial wie Alu-Dibond, Bannerfolie oder textilem Untergrund. So wird das neu entstandene Bild wieder zum Objekt, das aus dem medialen Bilderstrom herausgelöst und fixiert ist.
Stets sind es urbane Räume, mit denen sich die Künstlerin befasst, moderne Bauten, Straßen- und Schienenwege sowie Versorgungs- leitungen. Geweckt wurde ihr Interesse für Architektur während der Internatszeit in Le Havre, einer Stadt, die nach dem 2. Weltkrieg durch den französischen Architekten und Stadtplaner Auguste Perrets (1874 bis 1954) in moderner Stahlbetonbauweise wieder aufgebaut wurde.
Die Verflechtung der allgegenwärtigen Schienen-, Straßen- und Leitungsnetze wird jedoch nur ausschnitthaft sichtbar. Ihre Ausdehnung entzieht sich der menschlichen Wahrnehmung, was Emmanuelle Tanaïs Aupest durch die Wahl ungewöhnlicher Formate noch betont. (…)Die aus dem Zusammenhang herausgelösten Elemente der Gebäude oder dem Leitungsnetz werden zu grafischen Zeichen mit eigener ästhetische Sprache. Eine veränderte Farbigkeit und unnatürlich wirkende Lichtverhältnisse verstärken den Verfremdungseffekt. In den digital verdichteten Collagen der Künstlerin wird die Ambivalenz der urbanen Räume sichtbar, die eine moderne, ästhetische Sprache zeigen jenseits idyllischer, historischer Stadtteile. Dabei werden Unwirtlichkeit und Tristesse ebenso sichtbar wie Dynamik und Mobilität. Im Werk „Araignée“ ist die Stadt selbst die Spinne, deren Netz eine unüberschaubare Ausdehnung erreicht hat und sich in einen eigendynamischen Prozess stetig verändert.
Julienne Franke, Leiterin der Städtischen Galerie Lehrte, 2016